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AutorenbildNele Remstedt

Tradition und Natur: Pauline Campbells Erbe im Nahanni National Park Reserve


Pauline Campbell - Credit: Rob Stimpson /Parks Canada

Ihre Großväter rodeten Bäume, spalteten die Stämme und legten sie flach im sumpfigen Gebiet aus, um einen Pfad zur Umschiffung des Náįlįcho - der Virginia Falls – und einen Aussichtspunkt auf einem Gipfel zu schaffen. Jahre später schufteten ihr Vater und ihr Onkel in den Frühlings- und Sommermonaten, um eine aufwendig gestaltete Holzpromenade entlang des von ihrem Vater angelegten Weges zu bauen. Heute führt Pauline Campbell Besucher über eben diese Promenade zum berühmtem Wasserfall im Nahanni National Park Reserve, der sage und schreibe doppelt so hoch wie die Niagara-Fälle ist.


Wanderweg im Nahanni National Park Reserve - Credit: Hans Pfaff

Ihre Familiengeschichte ist an diesem atemberaubenden Ort allgegenwärtig. Sie fließt durch den Park wie der Nahɂą Dehé (South Nahanni River), der in seinem Flusslauf die tiefsten Schluchten des Landes gegraben hat. Im Alter von 7 Jahren flog Campbell mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester nach Náįlįcho, um zwei Wochen in der Sunblood Cabin, die ebenfalls von ihren Großvätern und ihrem Onkel gebaut wurde, zu verbringen. „Jeden Tag fuhren wir mit dem Boot zu den Wasserfällen hinunter, und mein Vater arbeitete an der Uferpromenade. Meine Mutter ging mit uns zu den Wasserfällen, wo wir unsere Zeit verbrachten“, sagt sie. „Ich habe dort immer zwischen den Bäumen im Wald gespielt, daher bin ich mit diesem Ort sehr vertraut.“

 

Verbindung zur Heimat

Pauline Campbell (geborene Vital), die bei Parks Canada für die kulturelle Interpretation zuständig ist, erzählt diese Geschichten neugierigen Parkbesuchern. „Sie sind sehr interessiert, wenn ich ihnen erzähle, dass ich aus Nahanni Butte stamme und dieser große Park quasi mein Garten ist“, sagt sie. Nahanni Butte liegt dort, wo Nahɂą Dehé auf den Liard River trifft. Die 87-Seelen-Gemeinde ist der übliche Endpunkt für Nahanni-Abenteuer; die meisten Paddler, die an der Nahanni Butte an Land gehen, sind geprägt von ihren atemberaubenden Erlebnissen hier.


Nahanni Butte - Credit: George Fischer / NWTT

Ein großer Anteil von Campbells Arbeit besteht darin, die Geschichte des Gebiets und der Dene zu erzählen, die es seit jeher ihr Zuhause nennen. Sie leitet eine Wanderung zum Náįlįcho für Tagestouristen und Flussreisende, die eine obligatorische Übernachtung an den Wasserfällen verbringen. Am Gahnįhthah Mie (Rabbitkettle Lake) führt sie die Besucher auf einer Wanderung durch eine Landschaft mit wunderschönen sanften Hügeln und beeindruckenden Tuffsteinhügeln – den größten in Kanada. Am Náįlįcho leitet Campbell auch ein Lagerfeuerprogramm für Übernachtungsgäste, bei dem sie den Gästen traditionellen Labrador Tee und Bannock serviert, Spiele und Geschichten der Dene erzählt und Fragen beantwortet.

  

Ein Naturtalent im Storytelling

Das Erzählen von Geschichten liegt ihr im Blut. „Ich erinnere mich, dass meine Cousins und Cousinen mich schon sehr früh baten ihnen eine Geschichte zu erzählen. Ich war noch sehr jung. Ich konnte selbst nicht einmal lesen! Aber ich hörte mir die Geschichten meiner Großeltern an und erzählte ihnen dann diese Geschichten.“


Campbell erzählt einige dieser Geschichten im Park und nimmt ihre Aufgabe, die Dene-Perspektive auf den Park zu vermitteln, sehr ernst. „Wir erzählen nicht nur die Geschichte von Leuten wie den Goldsuchern, die den Fluss hinaufkamen, sondern auch von den Elchfellbooten, die den Fluss hinunterfuhren“, berichtet sie.


Dazu hat sie auch eine lustige Geschichte parat: Als sie 7 Jahre alt war, wanderte sie bei der Sunblood Cabin durch den Wald, als ihr Vater an der Uferpromenade arbeitete und ihre Mutter gerade kochte. Auf einer Lichtung entdeckte sie einen Pfosten und Rahmen zum Spannen eines Elchfells. Ihr erster Gedanke war, dass ihre Großmutter vor langer Zeit hier gewesen sein musste, denn das war es, was sie mit dem Gerben von Elchhaut in Verbindung brachte. Erst viele Jahre später erwähnte sie den Ort gegenüber ihrem Vater und es dämmerte ihr, dass dies der Ort gewesen sein musste, an dem die Bootsbauer ihre Elchfelle für die Fahrten auf dem Fluss verarbeiteten.


Über die Erfahrungen der Dene

Auch drüben in Gahnįhthah teilt Campbell private, familiäre Erfahrungen. Die Gruppen beginnen jede Wanderung mit einem Tabak-Ritual für eine sichere Reise – etwas, das die Dene dort seit Generationen tun. „Mein Großvater war schon als kleines Kind mit seinem Vater in dieser Gegend unterwegs“, erzählt Campbell. „Damals gingen sie überall zu Fuß hin, und er erinnert sich daran, wie sie in einem Tal zum Tuffsteinhügel gingen, ihre Opfer darbrachten und dann ihre Reise fortsetzten“.


In den Sommermonaten arbeitet Pauline Campbell in Zehn-Tages-Schichten im Park. Sie hat vier Tage frei, bevor sie für weitere zehn Tage zurückkehrt. Die Tage können lang sein, vor allem, wenn viele Tagestouristen aus den Northwest Territories und dem Yukon anreisen. Wenn sie abends am Lagerfeuer sitzt, ist sie manchmal richtig erschöpft. Aber sobald sie mit den Gästen ins Gespräch kommt, erwacht sie wieder zum Leben. Das gilt auch für die Touren rund um Náįlįcho. Campbell lässt sich von der Begeisterung der Gäste anstecken – „Es ist, als sähe man alles noch einmal mit anderen Augen.“



Dennoch überrumpeln sie einige Fragen oder Kommentare manchmal. Oft sind Gäste von ihren Sinneseindrücken oder dem Zauber ihrer Umgebung so überwältigt, dass sie heikle Fragen stellen oder ihr Bedauern und ihre Traurigkeit über Kanadas Geschichte und die ungerechte Behandlung indigener Völker zeigen möchten.


Auf einer Wanderung zurück von Gahnįhthah ließ sich ein älterer Mann zurückfallen; Campbell wusste instinktiv, dass er mit ihr sprechen wollte. Als sie ihn ansprach, erklärte der Mann ihr, dass seine Eltern nach Kanada ausgewandert waren. Zu dieser Zeit reiste die  Truth and Reconciliation Commission durch das Land und sammelte Berichte von Überlebenden, um ein öffentliches Protokoll über die sogenannten „residential schools“ und die von Kanada und der Kirche begangenen Untaten zu erstellen. „Ich wollte nur sagen, dass es mir wirklich leidtut, dass das passiert ist, und ich wünschte, es wäre nicht passiert“, sagte er ihr ganz ehrlich. Das überraschte Campbell und ließ sie sprachlos. „Alles, was mir dazu einfiel, war „Danke“ zu sagen. Und in der Sprache der Dene heißt es mahsi. Ich habe ihm mahsi gesagt!“


„Als Dene bekomme ich all diese Fragen gestellt“, erzählt Campbell. „Ich kann nur meine Sichtweise teilen, und die meiner Familie. Ich kann nicht für alle anderen sprechen und das betone ich auch immer wieder.“

 

Beruf oder Berufung?

Pauline Campbell ist seit 2011 bei Parks Canada tätig. Sie begann als Verwaltungsassistentin, bis sie im darauffolgenden Jahr von einem ehemaligen Manager davon überzeugt wurde, die Rolle einer Kulturbeauftragten zu übernehmen. Zunächst fiel es ihr schwer zu verstehen, was genau sie eigentlich tun sollte. Nichts an der Stellenbeschreibung klang nach echter Arbeit. Bis heute sagt Campbell, dass sie immer noch nicht das Gefühlt hat, dass sie wirklich arbeitet. „Ich habe das Gefühl, dass das hier einfach kein Job sein kann! Es ist, als wäre ich im Urlaub und komme nur zu Besuch. Ich darf hier 10 Tage bleiben, erzählen und spannende Kontakte knüpfen.“


Nun könnte Campbells Neffe der nächste sein, der die Familientradition fortsetzt. Er hat sie mit Fragen über ihren Job gelöchert – „was machst du? Was ist das für ein Job?“ Als Campbell erklärte, dass sie auf geführte Wanderungen geht und Besuchern Geschichten ihrer Vorfahren erzählt, wiederholte er: „Ja, aber was machst du?“ Es ergab sie sich eine günstige Gelegenheit und Campbells Vorgesetzter erlaubte ihrem Neffen sie bei ihrer letzten Schicht im August zu begleiten. „Als wir ankamen, landete gerade ein Flugzeug mit Besuchern, also mussten wir gleich auf eine Tagestour aufbrechen. Wir haben unser Gepäck abgestellt und sind direkt zum Flugzeug gegangen“, erzählt sie. Ihr Neffe kam nach der Tour begeistert auf sie zu: „DAS ist dein Job?!?“


Wasserflugzeug am Little Doctor Lake - Credit: Ben Weiland /NWTT

Nach seiner Rückkehr nach Fort Simpson, klopfte er direkt an der Tür der Managerin, die ihn schließlich als Sommerstudenten einstellte. Jetzt arbeiten er und Campbell zusammen und geben der Geschichte ihrer gemeinsamen Familie – und der Geschichte ihres Volkes im Nahanni – noch eine weitere Facette.

 

 

Weitere Informationen über die Northwest Territories gibt es unter www.spectacularnwt.de.

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